Foto (Ausschnitt): David Illiff. Lizenz: CC-BY-SA-3.0
DISKUSSION
Zur Position der Europäischen Union
Pfandsystem wird von EU abgelehnt und stattdessen gefordert:
Hinweis FILTER ENTHÄLT PLASTIK auf der Packung
Erweiterte Herstellerverantwortung: Zigarettenproduzenten sollen zahlen
Innovation und Produktentwicklung: Biologisch abbaubare Filter, etc.
EU: Zigarettenfilter sind als Einwegplastik zu behandeln
Die Kommission der Europäischen Union und das Europäische Parlament erkennen die Schädlichkeit von Zigarettenfiltern und Tabakprodukten in der Umwelt als ernstes Problem an und teilen die Ansicht, dass ihre Menge verringert werden muss. Im Jahr 2012 hat das Europäische Parlament sogar die Kommission aufgefordert, Initiativen in allen Mitgliedstaaten zu unterstützen, die einen Pfand auf Zigaretten einführen wollen – ein Appell, der leider ungehört blieb und von dem danach keine Rede mehr war. Die Kommission bestätigt 2020:
„Die Einführung eines Pfandsystems für Tabakprodukte wird als nicht notwendig oder geeignet erachtet, … um die Umweltauswirkungen von Abfällen von Tabakprodukten mit Filtern, die nach dem Konsum anfallen, deutlich zu verringern.„[1]
Für die Haltung der Europäischen Kommission und des Europaparlaments zum Umgang mit Zigarettenkippen in der Umwelt ist die Einweg-Kunststoff-Richtlinie [Richtlinie (EU) 2019/904] vom 5. Juni 2019 das entscheidende Dokument. Auf dieses wird bei Anfragen immer wieder verwiesen. In Erwägung 16 deren Einleitung heißt es dazu:
„Kunststoffhaltige Filter für Tabakprodukte sind die am zweithäufigsten an den Stränden der Union vorgefundenen Einwegkunststoffartikel. Die enormen Umweltauswirkungen von Abfällen von Tabakprodukten mit kunststoffhaltigen Filtern, die nach dem Konsum der Produkte entstehen und unmittelbar in die Umwelt entsorgt werden, müssen verringert werden. … Die Mitgliedstaaten sollten breitgefächerte Maßnahmen zur Verringerung der Vermüllung durch Abfälle der Tabakprodukte mit kunststoffhaltigen Filtern fördern, die nach dem Konsum der Produkte entstehen.„[2]
Ein Pfand zählt jedoch ebenso wenig zu diesen breitgefächerten Maßnahmen wie Verbote jeglicher Art. Stattdessen werden drei Arten von Maßnahmen gefordert:
1. Hinweis FILTER ENTHÄLT PLASTIK auf der Packung
Artikel 7 Absatz 1 der Einweg-Kunststoff-Richtlinie führt aus, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Verpackung von Tabakprodukten mit Filtern sowie einzeln verkauften Filtern „eine deutlich sichtbare, gut lesbare und unauslöschliche Kennzeichnung mit folgenden Verbraucherinformationen trägt:
a) angemessene Entsorgungsmöglichkeiten für den betreffenden Artikel bzw. Hinweise über zu vermeidende Entsorgungsmethoden für diesen Artikel entsprechend der Abfallhierarchie,
b) einen Hinweis darauf, dass der Artikel Kunststoff enthält und auf die daraus resultierenden negativen Auswirkungen der Vermüllung oder einer anderen Entsorgung des betreffenden Artikels auf unsachgemäße Art auf die Umwelt.“
Konkretisiert wird dies durch eine Durchführungsverordnung vom 17. Dezember 2020. Demnach ist ein Piktogramm und die Wortfolge „FILTER ENTHÄLT KUNSTSTOFF“ verpflichtend auf Zigarettenpackungen anzubringen. Die Regelung gilt ab dem 3. Juli 2021 und schreibt diese Kennzeichnung vor (wobei das Piktogramm auch ein anderes aussehen kann):
Anmerkung: Die Grafik wurde von uns basierend auf den Angaben in der Durchführungsverordung simuliert.
Wir begrüßen diese Kennzeichnung, bezweifeln aber, dass sie zu einer signifikanten Reduktion von Kippen in der Umwelt führt.
2. Erweiterte Herstellerverantwortung: Zigarettenproduzenten sollen zahlen
In Artikel 8 Absatz 3 heißt es, die Mitgliedstaaten haben sicher zu stellen, dass die Hersteller von Tabakprodukten mit kunststoffhaltigen Filtern sowie von Zigarettenfiltern, die zur Verwendung in Kombination mit Tabakprodukten bestimmt sind, „mindestens die folgenden Kosten tragen:
a) die Kosten der in Artikel 10 genannten Sensibilisierungsmaßnahmen.“[3] für diese Artikel;
b) die Kosten von Reinigungsaktionen im Zusammenhang mit Abfällen dieser Artikel und der anschließenden Beförderung und Behandlung dieser Abfälle;
…
Die Kosten können die Errichtung spezifischer Infrastrukturen für die Sammlung von Abfällen dieser Artikel umfassen, wie z. B. geeigneter Abfallbehälter an allgemein zugänglichen Orten mit starker Vermüllung.“
Primär vertritt die Europäische Kommission also die Ansicht, dass sich Kippenmüll am besten dadurch reduzieren lässt, wenn RaucherInnen über dessen Umweltschädlichkeit aufgeklärt und ihnen mehr Mülleimer angeboten werden. Neu ist dabei die Forderung, dass die Tabakwarenhersteller sich an den Kosten hierfür beteiligen sollen.
Dass das Problem keinesfalls durch Sensibilisierungskampagnen und eine bessere Entsorgungsinfrastruktur gelöst werden kann ist bei näherem Hinsehen evident (siehe die Punkte 2 und 3 unter DISKUSSION – (Keine) Alternativen zum Pfand). Sensibilisierungskampagnen – wie jene des Bundesverbands der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) – und mehr Mülleimer sind prinzipiell natürlich begrüßenswert, tragen aber nur wenig zur Beendigung des Zigaretten-Litterings bei. Ebenfalls ist der Vorschlag sinnvoll, mehr Geld in die Reinigung des öffentlichen Raumes zu investieren. Als Maßnahme gegen das Kippenproblem ist dieser aber ebenso ungeeignet. Würde „Hinterherputzen“ eine Lösung bedeuten, müsste der allergrößte Teil der Zigaretten überhaupt eingesammelt werden können – und dies bevor diese Schaden anrichten. Dies ist offenkundig unmöglich. Zudem könnten sich RaucherInnen zukünftig sogar legitimiert fühlen, ihre Kippen wegzuwerfen – schließlich haben sie die Beseitigung ja quasi beim Kauf ihrer Zigaretten bezahlt.
Die mangelnde Nachhaltigkeit der Maßnahmen führt die Argumentation der EU-Kommission ad absurdum. Niemand – auch nicht die Tabakindustrie – sollte für etwas bezahlen, das nicht zielführend ist. Die erweiterte Herstellerverantwortung so zu interpretieren ist sicher ein werbewirksames Argument aber letztlich ein unbedeutendes Detail. Wirklich verantwortlich gemacht würden die Hersteller wenn Sie verpflichtet wären, ein Pfand- und Recyclingsystem für Kippen aufzubauen.
3. Innovation und Produktentwicklung: Biologisch abbaubare Filter, etc.
Schließlich ist noch jener Teil der eingangs zitierten Erwägung 16 der Einweg-Kunststoff-Richtlinie nachzutragen, der dort durch „…“ ausgespart blieb:
„Es wird erwartet, dass Innovation und Produktentwicklung sinnvolle Alternativen für kunststoffhaltige Filter hervorbringen werden, und diese Prozesse müssen beschleunigt werden. Daneben sollten Regelungen der erweiterten Herstellerverantwortung für Tabakprodukte mit kunststoffhaltigen Filtern Innovationen anregen, die zur Entwicklung nachhaltiger Alternativen für kunststoffhaltige Filter für Tabakprodukte führen.“
Dass biologisch abbaubare Filter keine Lösung für das Problem sind, da sie den Austritt von Giftstoffen in die Umwelt nicht verhindern, legen wir in Punkt 4 unter DISKUSSION – (Keine) Alternativen zum Pfand dar. Zusätzlich sei noch darauf hingewiesen, dass „Innovation und Produktentwicklung“ unter anderem dazu geführt haben, dass Filter auf den Markt kamen, denen Pflanzensamen beigemischt sind: Eine Aufforderung die (außerdem mit Nikotin, Teer, Blausäure, Dioxinen, etc. verunreinigten) Kippen mit gutem Gewissen in die Landschaft zu entsorgen…
Fazit
Diese Maßnahmen werden von der Kommission „als ausreichend und verhältnismäßig erachtet, um eine Vermüllung durch diese Produkte und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Umwelt erheblich zu verringern. Anstatt neue Gesetzgebung zur Einführung eines Pfandsystems vorzuschlagen, möchte die Kommission den Schwerpunkt darauf legen, die mit der Einweg-Kunststoff-Richtlinie eingeführten Maßnahmen für Tabakprodukte mit Filtern korrekt umzusetzen.“ [4]
Bei aller gebotenen Achtung vor der grundsätzlich ambitionierten Einweg-Kunststoff-Richtlinie: In Hinblick auf den Umgang mit Zigarettenkippen ist diese vollkommen unzureichend. Es werden Maßnahmen als ausreichend und verhältnismäßig erachtet, die offenkundig weit davon entfernt sind dies zu sein. Um dies darzulegen, sind nur einige wenige Überlegungen notwendig (siehe DISKUSSION – (Keine) Alternativen zum Pfand). Leider ist somit die Beteuerung, die enormen Umweltauswirkungen von Abfällen von Tabakprodukten mit kunststoffhaltigen Filtern verringern zu wollen unglaubhaft. Da die weitgehende Wirkungslosigkeit der Maßnahmen absehbar ist, bleibt nur der Schluss, dass auch auf EU-Ebene letztlich bevorzugt wird, Zigarettenkippen in der Umwelt zu tolerieren wenn die Alternative mit einem etwas größeren Aufwand verbunden ist.
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